„El Gran Mariscal“: als José Nasazzi Weltmeister wurde
<p><strong>Nach dem Schlusspfiff des belgischen Schiedsrichters John Langenus beim WM-Finale 1930 hätte man eigentlich eine Siegerehrung erwartet, wie sie heute bei jeder Weltmeisterschaft gang und gäbe ist. Doch bei der ersten Weltmeisterschaft war alles etwas anders.</strong></p>
<p>Die Weltmeisterschaft 1930 war per se ein Turnier der Premieren. Lucien Laurent erzielte das erste WM-Tor, Bert Patenaude den ersten WM-Hattrick ... Überstrahlt werden sie jedoch alle von José Nasazzi, der am 30. Juli 1930 als erster von bis heute 29 Spielerinnen und Spielern ein Team bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft oder der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft zum WM-Titel führte.</p>
<p>Auch 91 Jahre nach diesem denkwürdigen Tag in Montevideo ist Nasazzi in seiner Heimat Uruguay und im Weltfussball noch immer eine Legende. Mit dem WM-Triumph krönte er sieben einzigartige Jahre, in denen Uruguay dreimal Südamerikameister und zweimal Olympiasieger wurde. Als Kapitän war Nasazzi einer der Baumeister all dieser Erfolge. Meisterhaft orchestrierte er als rechter Verteidiger die Abwehr, weshalb er auch „El Gran Mariscal“ (Grossmarschall) genannt wurde.</p>
<p>Gegenstand dieses Artikels sind aber nicht die Spiele bei der ersten Weltmeisterschaft, sondern das Protokoll, das damals noch weit von den heutigen WM-Traditionen entfernt war. Nach Langenus‘ Schlusspfiff beim Finale 1930 drehten die uruguayischen Spieler eine Ehrenrunde, ehe sie am eindrucksvollen Torre del Homenage Halt machten und salutierten, als die uruguayische Flagge auf dem Turm gehisst wurde. Und genau hier nahm die Geschichte von Nasazzi und dem siegreichen uruguayischen Team eine unerwartete Wende.</p>
<p>Gemäss Filmfragmenten von damals präsentiert das Team bei seinem Festzug zwar eine Trophäe, allerdings handelt es sich dabei nicht um den WM-Pokal! Auf einer Nahaufnahme ist in den Händen von Pablo Dorado ein grosser Silberpokal zu erkennen, von dem offenbar niemand Genaueres weiss, auch nicht, wo dieser herkommt. Sicher ist einzig, dass der WM-Pokal, der von Abel Lafleur entworfen und von Jules Rimet auf der Conte Verde nach Uruguay gebracht wurde, nach dem Spiel im Stadion vor den Augen der Zuschauer nicht an Nasazzi überreicht wurde. In den dreieinhalb Jahren, in denen der WM-Pokal in Uruguay weilte, glänzte er vielmehr durch Abwesenheit! Mit einer Ausnahme ...</p>
<p>Als FIFA-Präsident Jules Rimet Anfang Juli 1930 von Bord der Conte Verde ging, wurde er von einer Delegation des uruguayischen Fussballverbands, angeführt von dessen Präsident Raul Jude, empfangen. Die beiden wurden später bei einem Bankett mit dem Pokal auf einem Foto verewigt, das am folgenden Tag (Sonntag, 6. Juli) in der Presse veröffentlicht wurde. Danach verschwand der Pokal komplett von der Bildfläche und landete offenbar in einem Tresor der Banco República in Montevideo, bis er auf einem 1934 bei der Rückreise nach Europa geschossenen Foto wieder auftauchte.</p>
<p>José Nasazzi wurde also nie die Ehre zuteil, den WM-Pokal in die Höhe stemmen zu dürfen. Die bis heute bewährte Tradition der Pokalübergabe wurde erst danach für die mittlerweile 28 Weltmeisterteams eingeführt.</p>
<p><strong>Doch die Geschichte geht noch weiter ...</strong></p>
<p>In der Sammlung des FIFA Museums befindet sich eine goldene Medaille, die Nasazzi vom uruguayischen Fussballverband erhalten hatte. Bemerkenswert daran ist nicht die besondere Auszeichnung an und für sich, die für Spieler nach WM-Erfolgen durchaus üblich ist, sondern die Tatsache, dass beim WM-Finale 1930 nicht nur der WM-Pokal, sondern auch die traditionellen Medaillen für die Teams des Weltmeisters und des Vizeweltmeisters fehlten.</p>
<p>Dabei hatte das FIFA-Generalkomitee beim Kongress im Mai 1930 in Budapest die Prägung dieser Medaillen ausdrücklich bewilligt. Gemäss Protokoll war ein Souvenir an Uruguay in Form einer bronzenen Plakette vorgesehen, während die elf Spieler des Weltmeisterteams sowie der Schiedsrichter des Endspiels goldene Exemplare und die unterlegenen Finalisten silberne erhalten sollten.</p>
<p>Was aus den Plänen zur Prägung dieser 23 Medaillen durch Abel Lafleur geworden ist, ist unklar. Sicher ist, dass Jules Rimet nur mit dem WM-Pokal nach Uruguay reiste. Erst am 11. November, d. h. fast vier Monate später, fand am Sitz des uruguayischen Fussballverbands eine Siegerehrung statt, bei der die FIFA den elf am Finale beteiligten uruguayischen Spielern Goldmedaillen überreichte. Wie heisst es doch so schön: andere Zeiten, andere Sitten.</p>
<p>Auch wenn Nasazzi ein Foto mit dem WM-Pokal verwehrt blieb und einige Zeit auf seine WM-Medaille warten musste, war der WM-Triumph 1930 der Höhepunkt seiner Karriere sowie einer goldenen Ära seines Nationalteams.</p>
<p><strong>El Gran Mariscal – wahrlich einer der Grössten des Weltfussballs, von dem wir eine Medaille in unserer Sammlung haben.</strong></p>