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Origins: Griechisch-Römische Ballspiele

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<p>Das antike Griechenland und das Römische Reich beschritten neue Wege im organisierten Sport. Die Olympischen Spiele und die Gladiatorenkämpfe waren echte Zuschauermagneten. Die Athleten wurden innerhalb ihrer Gemeinschaften wie Helden gefeiert. Obwohl Ballspiele in dieser heroischen Zeit eher ein Schattendasein fristeten, gibt es unzählige Beweise dafür, dass sie fester Bestandteil des Alltags waren.</p> <p>Die bedeutendsten Ballspiele in der griechischen Antike waren Episkyros, Phaininda, Aporrhaxis und Urania, während die Römer vor allem Harpastum, Trigon, Follis, Paganica und Arenata spielten. Bei Episkyros und Harpastum handelte es sich um Mannschaftsspiele, weshalb sie im Folgenden näher beleuchtet werden.</p>
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<div class="hero-section-text is-animated vertical-bottom horizontal-right parallax-text in-view" data-speed=".5"> <div class="inside not-animated text-size-basic "> <p>Episkyros, das für die frühviktorianischen Erfinder des Association Football als Vorläufer des modernen Fussballs galt, war das wohl am weitesten verbreitete aller griechischen Ballspiele.</p> <p><br>Dieses Mannschaftsspiel, bei dem räumliche Orientierung zentral war, erforderte Geschick, Präzision und Ausdauer. Die beste, wenn auch sehr knappe Schilderung des Spiels stammt vom griechischen Gelehrten Julius Pollux. Obwohl sich Episkyros – auch als Ephebike oder Epikoinos bekannt – nicht für ernsthafte sportliche Wettkämpfe eignete, war die Sportart sehr beliebt, da sie die Leistungsfähigkeit erhöhte und die Kameradschaft unter den Teilnehmern förderte.</p> <p><br>Im Vergleich zu anderen, einfacheren sportlichen Wettkämpfen liegen die Anfänge von Episkyros wohl viel weiter zurück, weshalb die Sportart weitaus ältere Riten umfasst, die auf den Schutz von Stammesgebietsgrenzen zurückgehen.</p> </div> </div>
<p>Der etymologische Ursprung Phainindas ist unklar. Gemäss Pollux könnte der Name zurückgehen auf Phaenides, den mutmasslichen Erfinder des Spiels, oder das griechische Verb „phenakizo“, das „antäuschen“, „hereinlegen“ oder „betrügen“ bedeutet. Eine andere Theorie stammt von Athenaios. Pollux’ Zeitgenosse zitiert aus einer Abhandlung über römische Geschichte von Juba II., dem König von Mauretanien von 25 v. Chr. bis 23 n. Chr., der wiederum einen attischen Komödiendichter aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. namens Antiphanes zitiert. Dieser schreibt die Erfindung von Phaininda dem Gymnastiktrainer Phainestios zu.</p>
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<p>Phaininda war ein körperbetontes Ballspiel, das Würfe, Ausweichmanöver und Handgemenge umfasste. Der Spieler mit dem Ball täuschte einen Wurf auf einen Gegenspieler an, düpierte diesen jedoch, indem er den Ball überraschend auf einen anderen Spieler warf.</p> <p>Antiphanes lieferte eine lebhafte Beschreibung des Spiels: <em>„‚Au! Welch Schmerz in meinem Genick.‘ Er fing den Ball, warf ihn lachend einem Mitspieler zu und wich zugleich einem anderen aus. Er stiess einen Spieler aus dem Weg und half einem anderen auf die Beine, während rundherum alle schrien und riefen: ‚Aus dem Feld!‘, ‚Zu weit!‘, ‚An ihm vorbei!‘, ‚Über seinen Kopf!‘, ‚Unten durch!‘, ‚Oben drüber!‘, ‚Kurz!‘, ‚Zurück ins Gedränge!‘“</em></p>
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<p>Da der Text von Athenaios unvollständig ist, sind die genauen Spielregeln von Phaininda nicht bekannt. Klar ist nur, dass mindestens drei Spieler beteiligt waren, die sich den Ball so zuwarfen, dass der Spieler in der Mitte diesen nicht erreichte. Obwohl Spielfeldmarkierungen eine Voraussetzung gewesen sein könnten, werden weder Mittel- noch Torlinien erwähnt. Auch zur Aufstellung der Spieler, also ob sie sich über das ganze Spielfeld verteilt, vor ihren Gegenspielern oder im Kreis aufstellten, gibt es keine Angaben.</p>
<p>Ein weiteres, von Pollux flüchtig beschriebenes Spiel ist Aporrhaxis, was so viel heisst wie einen Ball wegschlagen oder prellen.</p> <p>Aporrhaxis war ein Ballspiel für Mädchen und Jungen, bei dem zwei Spieler abwechslungsweise einen Ball prellten. Bei einer Variante des Spiels gewann jener Spieler, der den Ball am längsten prellen konnte. Pollux schrieb: <em>„Beim Aporrhaxis wird der Ball kräftig auf den Boden geworfen, um ihn dann immer wieder mit der Hand zu prellen. Die Zahl der Aufpralle wird gezählt.“</em></p>
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<p>Bei diesem Spiel, das auch mit erotischen und hochzeitlichen Anspielungen durchsetzt war, konnten die Spieler ihre Geschicklichkeit verbessern. Die unebene Oberfläche der antiken Bälle sowie deren fehlende Elastizität, die das Aufspringen des Balles erschwerte, machten das Spiel zweifellos schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.</p>
<p>Ein weiteres Ballspiel, das Jungen wie auch Mädchen spielten, war Urania (Himmelball), dessen Name sich vom griechischen Wort für Himmel ableitet. Während die genauen Regeln unklar sind, ist bekannt, dass ein Spieler einen Ball rückwärts in die Luft warf. Die übrigen Spieler bildeten einen Kreis um den Werfer, der während des Wurfs den Namen eines Mitspielers rief. Dieser betrat den Kreis und versuchte, den Ball zu fangen, bevor dieser den Boden berührte. Wenn ihm dies gelang, warf er den Ball hoch und rief den Namen eines Mitspielers. Manche Gelehrten assoziieren Urania mit einem anderen griechischen Spiel namens Ephedrismos (Huckepack), bei dem der Spieler, der den Ball nicht fangen konnte, zum „Esel“ wurde. Der Esel stand fortan im Dienste des Gewinners, der den Übernamen „König“ erhielt.</p>
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<h3>ARCHÄOLOGISCHE FUNDE</h3> <p>In einem Grab bei Macri Langoni in Kamiros auf der Insel Rhodos wurde eine auf 510–500 v. Chr. datierte attisch-schwarzfigurige Lekythos entdeckt, auf der möglicherweise eine Urania-Szene zu sehen ist. Dargestellt sind fünf nackte Männer mit kurzen Haaren und Bart, die sich für ein Ballspiel vorbereiten. Der Mann ganz rechts hält je einen Ball in seinen ausgestreckten Händen und ist im Begriff, die beiden Bälle weit über seinen Kopf in die Luft zu werfen, während die anderen Spieler sich bereit machen, sie aufzufangen.</p>
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<p>Diese Darstellung steht in einem ikonografischen Zusammenhang mit einer kleinen Sammlung von attisch-schwarzfigurigen Vasen ähnlichen Datums. Die anschaulichsten Beispiele sind eine Amphore in London und eine Lekythos in Oxford. Auf der auf 520 v. Chr. datierten Amphore wirft ein sitzender Mann einen zweifarbigen Ball zu drei Spielerpaaren, die den Ball zu fangen versuchen. Mit Ausnahme des hintersten Trägers (mit Bart) scheint es sich bei allen Spielern um Jugendliche zu handeln. Die um 500 v. Chr. datierte Lekythos in Oxford zeigt die gleiche Szene, mit dem einzigen Unterschied, dass der ballwerfende Mann steht und sich auf einen Stock stützt. Da die Spieler in beiden Darstellungen auf den Schultern ihrer Mitspieler sitzen, ist hier wohl die zweite Phase des Urania-Spiels dargestellt, in der die Spieler bereits in Könige und Esel aufgeteilt sind.</p>
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<h3>SCHRIFTLICHE QUELLE</h3> <p>In seinem Gedicht „Argonautika“ beschreibt der griechische Gelehrte Apollonios von Rhodos, der in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. die Bibliothek von Alexandria leitete, ein Spiel der Nereïden, das Urania offenbar ähnlich war.</p> <p><em>„Wie wenn auf sandigem Strand in der Nähe des Meeres die Mädchen,</em><br><em>Hoch sich schürzend, gedoppelt das Kleid umwickelnd den Lenden,</em><br><em>Mit dem gerundeten Ball sich ergötzen: es fängt ihn die Eine</em><br><em>Auf von der Andern, und schleudert ihn hoch aufwärts zu den Wolken,</em><br><em>Dass er schwebt in der Luft und nimmer den Boden berühret.“</em><br>Apollonios von Rhodos, „Argonautika“, Buch 4, Zeilen 948–952</p>
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<p>Wie heute gab es schon früher Bälle in verschiedenen Grössen und Materialien, die auf die Bedürfnisse des jeweiligen Spiels abgestimmt waren. Drei Bälle waren besonders verbreitet.</p>
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<p>Der kleinste Ball war hart und mit Haaren ausgestopft, während Sphaîra (Kugel) ein grösserer, mit Federn gefüllter Ball war. Bei Thylakos oder Fysa schliesslich handelte es sich um eine luftgefüllte Schweinsblase, die vermutlich von zusammengenähten Lederstreifen überzogen war.</p>
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<p>Der 23. Gesang der „Ilias“, in der Homer die glanzvollen Leichenspiele beschreibt, die Achilleus zu Ehren seines verstorbenen Freundes Patroklos abhält, verweist auf das offizielle Programm der 776 v. Chr. eingeführten Olympischen Spiele. Dass Ballspiele nicht erwähnt wurden, dürfte kaum überraschen, schliesslich fehlten sie bei allen panhellenischen und lokalen Sportwettkämpfen.</p> <p>Aus Homers zweitem Epos, der „Odyssee“, geht jedoch hervor, dass die damalige Gesellschaft Ballspiele bereits kannte und schätzte. Tatsächlich werden Ballspiele im sechsten Gesang zweimal erwähnt, wobei sie beide Male von Tanz und Gesang begleitet werden.</p>
<p>Der erste Verweis auf ein Ballspiel in der Odyssee ist die berühmte Passage, in der Nausikaa, Prinzessin der Phaiaken, den schiffbrüchigen Odysseus entdeckt, als sie singend am Strand mit ihren Dienerinnen Ball spielt.</p>
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<p>Nausikaa und ihre Gefährtinnen sind Vorbilder für alle Ballspielerinnen, die auf ihren Spuren wandelten. Mit kleinen Bällen spielende oder jonglierende junge Frauen tauchen auch in späteren griechischen Texten und Darstellungen immer wieder auf – meist in einem erotischen oder hochzeitlichen Kontext. Es ist dies das erste Mal, dass in der griechischen Literatur das Wort „Ball“ oder „Kugel“, wie die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen wäre, verwendet wird.</p>
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<p>Der zweite Verweis auf ein Ballspiel folgt nur wenige Verse später, als sich der phaiakische Adel zum Festmahl trifft, das König Alkinoos zu Ehren des Odysseus abhält. Während dieser Zusammenkunft bestreitet eine Gruppe junger Männer einen Wettkampf, bei dem ein eigens von Polybos angefertigter Ball zum Einsatz kommt.</p> <p>Während die beiden jungen Phaiaken Halios und Laodamas tanzen, werfen sie einen prächtigen purpurnen Ball hin und her, der vom ausserordentlich geschickten Künstler Polybos hergestellt worden war. Polybos ist damit wohl der erste Hersteller eines Balles, den wir mit Namen kennen.</p>
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<p>Auf der Innenseite eines im Pariser Louvre ausgestellten attisch-rotfigurigen Trinkgefässes aus dem letzten Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts v. Chr. ist ein Jüngling dargestellt, der im Begriff ist, einen kleinen, mit seiner rechten Hand umklammerten Ball zu werfen. Seine Körperhaltung zeigt eindeutig, dass er den Ball nicht für Leibesübungen nutzt, sondern ihn mit aller Kraft wegwerfen will.</p>
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<p>Einen weiteren Beweis liefert ein viereckiger Marmorsockel, auf dem ursprünglich ein Grabkouros, eine Statue eines jung verstorbenen Athleten, stand. Der um 490 v. Chr. datierte Sockel zeigt auf drei Seiten Reliefs mit äusserst anschaulichen, von den sportlichen Aktivitäten in Gymnasien und Palästren inspirierten Szenen. Auf der linken Seite des Sockels sind sechs Jünglinge in verschiedenen athletischen Posen zu sehen. Obwohl diese Szene verschiedene Phasen mehrerer Sportarten zeigen könnte, wird sie seit ihrer Veröffentlichung und bis heute mit Episkyros in Verbindung gebracht. Die Szene zeigt zwei Gruppen mit je drei Jünglingen. </p>
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<h3>DIE LINKE GRUPPE</h3> <p>Da der Spieler auf der linken Seite des Sockels im Begriff ist, einen kleinen, in seiner rechten Hand gehaltenen Ball zu werfen, ist davon auszugehen, dass die linke Gruppe das angreifende Team ist. Rechts neben dem Werfer steht ein Mitspieler, der über seine Schulter zurückschaut, als würde er den passenden Moment abwarten, um im Augenblick des Ballwurfs in die Mitte des Spielfelds zu spurten. Der dritte Jüngling dieser Gruppe blickt geradewegs zum gegnerischen Team und steht direkt vor seinem Gegenspieler, der der Gruppe auf der rechten Seite des Sockels angehört.</p>
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<h3>DIE RECHTE GRUPPE</h3> <p>Der vorderste Spieler des verteidigenden Teams schaut zurück, als würde er mit seinen Teamkollegen sprechen, etwa um ihnen die Flugbahn des Balles mitzuteilen. Die anderen beiden Spieler auf der rechten Seite des Sockels heben ihre Arme in Bereitschaft, den Ball zu fangen und zum Team links zurückzuwerfen. Sehr wahrscheinlich durften die Spieler die Mittellinie bis zum Ballwurf nicht überschreiten.</p>
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<h3>DIE ZWEI SPIELER IN DER MITTE</h3> <p>Ein klares Indiz dafür, dass es sich bei den Jünglingen um Episkyros-Spieler handelt, ist die ähnliche, aber entgegengesetzte Haltung der beiden Spieler in der Mitte und insbesondere deren Fusshaltung (Zeh an Zeh) im Zentrum des Reliefs. Auch wenn sich aufgrund der wenigen Zeugnisse kein vollständiges Bild eines Episkyros-Spiels ergibt, so zeigt dieser Marmorsockel doch eine Momentaufnahme des Spiels. Anzunehmen, dass pro Team nur drei Spieler zum Einsatz kamen, wäre falsch, denn der Bildhauer könnte bewusst nur einen Ausschnitt dargestellt haben.</p>
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<p>Sollte die Szene tatsächlich ein getreues Abbild des antiken Episkyros darstellen, weist diese Sportart grosse Ähnlichkeit mit modernen Sportarten auf, bei denen räumliche Orientierung ebenfalls zentral ist (z. B. American Football, Rugby oder Völkerball). Dieser einzigartige Marmorsockel ist die älteste noch erhaltene Darstellung eines antiken Mannschaftsspiels in der altgriechischen und römischen Kunst.</p>
<p>An bildlichen Überlieferungen von altgriechischen und römischen Sportarten mangelt es nicht. Zu Ballspielen gibt es jedoch kaum Textquellen oder Darstellungen. Das berühmteste Artefakt ist wohl der „Fussballspieler“ im Archäologischen Nationalmuseum in Athen. Diese Bezeichnung ist allerdings wohl etwas weit von der Realität entfernt.</p>
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<p>Das Fragment einer Grabstele aus Marmor wurde in Zea, einem der antiken Häfen von Piräus, entdeckt und wird auf das frühe 4. Jahrhundert v. Chr. datiert. Rechts ist ein nackter Jüngling im Dreiviertelprofil dargestellt, der auf dem linken Bein steht und einen Ball auf dem rechten Oberschenkel balanciert. Die Arme sind hinter dem Rücken, wobei die rechte Hand den linken Vorderarm umgreift, was seinen Balanceakt noch eindrücklicher macht. Der junge Athlet scheint hochkonzentriert zu sein, während sein Diener ihm aufmerksam zuschaut.</p>
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<p>Die Szene spielt sich in einem Gymnasion ab, das durch die Säule hinter dem Spieler, auf der seine Kleidung liegt, symbolisiert wird. Diese einzigartige Sportdarstellung zeigt den Trainingsalltag in einem Gymnasion im antiken Griechenland. Da der Ball relativ gross ist, war er vermutlich mit Luft gefüllt und wurde als Thylakos oder Fysa oder auf Lateinisch als Follis bezeichnet.</p>
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<p>Ballspiele wurden in der Regel im Gymnasion gespielt. In diesen weitläufigen Anlagen, die es in jeder Stadt gab, trainierten Kinder und bereiteten sich für die Aufnahme in die Volksversammlung vor. Ein zentrales Element der antiken Gymnasien war das Sphaeristerium, ein Raum, in dem Athleten trainieren und verschiedenen Ballspielen nachgehen konnten.</p>
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<p>Die Bälle, welche die alten Griechen bei ihren Spielen verwendeten, waren nicht darauf ausgelegt, lange herumgekickt zu werden. Folglich entwickelte sich keine Kultur von Mannschaftsspielen, bei denen ein Ball mit dem Fuss gespielt wurde. Da Ballspiele den Athleten fast nur zur körperlichen Ertüchtigung und zum Aufwärmen dienten, fristeten sie in der Gesellschaft ein Schattendasein.</p> <p>Als Wettkampf betriebene Mannschaftssportarten mit oder ohne Ball wurden nie ins offizielle Programm grosser panhellenischer Veranstaltungen wie der Olympischen Spiele aufgenommen, wo vor allem das Talent und die Leistungen der einzelnen Athleten im Zentrum standen. So überrascht es kaum, dass die Namen antiker Ballspieler im Laufe der Geschichte verloren gingen.</p>
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<p>Im antiken Sparta, das 404 v. Chr. nach dem Sieg über Athen im Zweiten Peloponnesischen Krieg den Höhepunkt seiner Macht erlangte, gehörte intensives körperliches Training zum staatlich kontrollierten Erziehungssystem, der sogenannten Agoge, in der die laufende Vorbereitung der männlichen Bevölkerung auf den Militärdienst als zentral galt.</p> <p>Antiken literarischen Quellen und Inschriften zufolge wurden Knaben, die sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden befanden, in Sparta als Sphaireis (Ballspieler) bezeichnet. Da es im antiken Sparta keine monumentalen öffentlichen Bauwerke gab, wurde Sport zunächst im Freien am Ufer des Evrotas betrieben, ehe sich das Training in die Nähe des Verwaltungsviertels verschob, das sich neben dem Theater befand.</p>
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<p>Bei den alten Mazedoniern gehörten Ballspiele ebenso zur militärischen Ausbildung wie bei den Spartanern. Die homerische Kultur und Wertvorstellungen dienten dem mazedonischen Hof als Vorbild, und Alexander der Grosse, ein Liebhaber der homerischen Epen, war ein begeisterter Ballspieler. In einer von Plutarch überlieferten Anekdote heisst es, dass Ballspiele mit seinen Gefährten eine beliebte Freizeitbeschäftigung Alexanders waren.</p> <p>Tatsächlich wurden berühmte Ballspieler an seinem Hof gefeiert. Athenaios erwähnt einen berühmten Spieler namens Aristonicus aus Karystos auf der Insel Euböa, dem die Athener nicht nur die Staatsbürgerschaft erteilten, sondern sogar eine Statue errichteten. Zudem wurde ihm die höchste bürgerliche Ehre zuteil: Er wurde zu Staatsbanketten im Prytaneion, dem Rathaus des antiken Athens, eingeladen.</p> <p>Plutarch berichtete ferner, dass Alexander auch den Ballspieler Serapion reich beschenkte und Ballspiele den mazedonischen Truppen selbst nach Alexanders Tod oft als militärisches Training dienten. Die Hochachtung Alexanders vor Ballspielern zeigt sich auch in den Büchern des Antigonos des Einäugigen (382–301 v. Chr.).</p>
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<p>Trigon, auch als Pila trigonalis oder Trigonaria bekannt, war so beliebt, dass die Römer es offenbar auch einfach nur „das Ballspiel“ (Pila) nannten. Wie der Name vermuten lässt, waren beim Trigon drei Spieler beteiligt, die sich in einem Dreieck aufstellten. Je nach Spielart wurden womöglich mehrere Bälle eingesetzt, wodurch das Spiel sehr schnell wurde. Aus einem bemerkenswerten Zitat des ansonsten unbekannten Dichters Dorcatius geht hervor, dass der Ball ein Standardgewicht hatte:</p> <p><em>„Und höre nicht auf, die Haare eines lebenden Hirschen hineinzugeben, bis die Unze über das doppelte Pfund erreicht ist.“</em><br>Dorcatius, zitiert aus Isidor von Sevilla „Etymologiae“, Buch 18, 69</p>
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<p>Mit umgerechnet 685 Gramm war der Ball um ein Vielfaches schwerer als ein Baseball oder Kricketball, die zwischen 142 und 164 Gramm wiegen müssen. Folglich war es sicher auch schwieriger, ihn zu werfen. Auch wenn das Dorcatius-Zitat stimmen sollte, stellt sich die Frage, ob es sich tatsächlich auf Trigon bezog, da das Spiel angeblich mit einem eher kleinen, harten Ball gespielt wurde.</p>
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<h3>SCHRIFTLICHE QUELLEN</h3> <p>Erstmals erwähnt wird Trigon in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in den Schriften des römischen Satirikers Lucilius. Die meisten Hinweise stammen jedoch aus literarischen Quellen aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Der römische Stoiker Seneca der Jüngere gewährt Einblicke in die Spielstrategie, bei der Taktik, geübte und ungeübte Spieler, Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Teamwork wesentliche Merkmale sind:</p>
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<p><em>„Wenn der Ball zu Boden fällt, so ist daran ohne Weiteres entweder der Werfende oder der Auffangende Schuld. Seinen rechten Lauf macht er dann, wenn er, von Beiden mit gleicher Geschicklichkeit geworfen und aufgefangen, zwischen Beider Händen schwebt. Nothwendig aber muss ihn ein guter Spieler seinem Mitspieler anders bei weiterer, anders bei geringerer Entfernung zuwerfen. […] Haben wir mit einem Geübten und Gelernten zu thun, so können wir den Ball schon kecker werfen; denn wie er auch kommen mag, so wirft ihn die gewandte und gelenke Hand wieder zurück; spielen wir mit einem Anfänger und Ungelernten, so dürfen wir schon nicht so unnachgiebig, nicht so raschwerfend auftreten, sondern minder lebhaft und ihm gerade in die Hand werfend und nicht zu stark. […] wie neckende Spieler es darauf anlegen, den Mitspieler anlaufen zu lassen, worunter denn freilich das Spiel selbst leidet, das bald unterbrochen werden muss, wenn man sich nicht zusammen verstehen will.“</em><br>Seneca der Jüngere, „Über Wohltaten“, Buch 2, 17</p>
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<p>Aus „Laus Pisonis“ geht zudem hervor, dass die besonders talentierten Spieler nicht nur die Zuschauer in ihren Bann zogen, sondern auch andere Spieler, die sogar auf eigene Spiele verzichteten, um sie in Aktion zu sehen. Was diese Virtuosen von den übrigen Spielern abhob, war auch ihre Beidhändigkeit, wobei vor allem Linkshänder gefürchtet waren.</p> <p>In einem aus heutiger Sicht eher ungewöhnlichen Gedicht Martials spielt ein Schützling mit seinem Förderer und fängt dabei den Ball mit der rechten und der linken Hand. Es scheint, als würde er die von seinem Gönner nicht gefangenen Bälle aufheben und wegschleudern, um den dritten Spieler zu verwirren. Gemäss dem Dichter Horaz, der kein Freund des Spiels war, wurden Trigon-Partien auf der als Campus Martius (Marsfeld) bekannten Parkanlage in Rom ausgetragen, während aus Martials Epigrammen hervorgeht, dass das Spiel auch in den grossen kaiserlichen Badeanlagen gespielt wurde.</p>
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<p>Zeitgenössische Schriften enthalten mehrere Verweise auf Follis und Folliculus, wobei unklar ist, ob es sich dabei um dasselbe Spiel handelte. Ungeachtet dessen waren Laufen, Gewalt und Schnelligkeit weniger gefragt als in anderen Ballspielen. Vor diesem Hintergrund deutete Martial an, dass sich Follis für Jung und Alt, aber nicht für die Altersgruppe dazwischen eignete. Follis wurde mit einem grossen, weichen Ball gespielt, der von den Spielern mit den Händen geschlagen statt geworfen wurde.</p>
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<p>Gemäss Athenaios erfand Atticus von Neapel, der Pompeius den Grossen trainierte, im 1. Jahrhundert v. Chr. Folliculus zwecks körperlicher Ertüchtigung. Folliculus wurde auch von älteren Menschen und sogar von Kaisern praktiziert. So hörte Augustus mit Mitte dreissig unmittelbar nach Ende der Römischen Bürgerkriege auf, mit Pferden und Waffen zu exerzieren, und begann stattdessen Pila und später Folliculus zu spielen. Plinius der Jüngere verweist in seinen Briefen – jedoch ohne die Aktivität genau zu benennen – auf Spurinna, der auch im hohen Alter von 77 noch täglich Übungen mit einem Ball machte.</p>
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<p>Diese beiden Ballspiele sind eher unbekannt. Gemäss Martial war der Ball im Paganica härter als jener im Follis, aber weicher als der üblicherweise im Pila verwendete Ball. Zudem ist anzunehmen, dass der Ball eher gross war und es deshalb beider Hände bedurfte, um ihn zu halten. Über den Arenata-Ball oder Bälle aus anderen, überwiegend von Kindern gespielten Spielen, bei denen ein Ball geprellt oder hoch in die Luft geworfen wurde, ist nichts bekannt.</p> <p>Obwohl Paganica „ländlich“ bedeutet, gibt es keine Belege dafür, dass das Spiel auf dem Land gespielt wurde. Vielmehr gibt es Hinweise, dass es in den Badeanlagen gespielt wurde. Im Mittelalter soll es zudem Partien zwischen verschiedenen Dörfern gegeben haben, dabei handelt es sich aber um reine Vermutungen.</p>
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<p>Das Wort „Arenata“ lässt erahnen, dass dieses ansonsten eher unbekannte Ballspiel auf Sand gespielt wurde, möglicherweise im Sphaeristerium. Da Arenata in Martials Liste fehlt, könnte es sich dabei auch um eine andere Bezeichnung für das auf staubigen Plätzen gespielte Harpastum handeln. Wenn dem so wäre, würde dies unser Wissen über die Teilnahme am Spiel um einen Aspekt erweitern, denn eine jüngere Quelle besagt Folgendes:</p> <p><em>„[…] arenata [heisst] eines, welches in der Gruppe gespielt wird. Wenn [der Ball] über den Kreis der umstehenden Zuschauer hinausgeworfen wird, pflegten sie jenseits der erlaubten Fläche den Ball aufzunehmen und in das Spiel einzutreten.“</em><br>Isidor von Sevilla, „Etymologiae“, Buch 18, 69</p>
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<p>Wie viel wüssten wir vom heutigen Fussball, wenn unsere wichtigsten Quellen kurze Auszüge aus Harry-Potter-Büchern, das Fussballspiel der Philosophen von Monty Python oder Bruchstücke der Gedichte von A. E. Housman wären? Gewiss wurde keines dieser Werke geschrieben, um als Chronik für den Fussball zu dienen.</p>
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<h3>PROBLEM NR. 1: SOZIALE KLASSE</h3> <p>Nicht viel anders verhält es sich mit der Deutung römischer Ballspiele, denn weder ausführliche Berichte noch Regelbücher haben die Zeiten überdauert. Fast alle literarischen Quellen stammen von Dichtern, Philosophen und Universalgelehrten, die sich für Bilder, Analogien, Metaphern, Definitionen, Scharfsinn, Satire und Ähnliches interessierten statt für die Beschreibung von Spielen, die den Lesern ohnehin bekannt waren. Diese männlichen Literaten, die dem Kaiser oft sehr nahestanden, beschäftigten sich vornehmlich mit ihrer eigenen sozialen Klasse und schrieben in der Regel nicht über Plebejer, Frauen oder Sklaven. Die literarischen Zeugnisse von Ballspielen betreffen somit einen winzigen Teil der Bevölkerung, wohl keine fünf Prozent.</p>
<h3>PROBLEM NR. 2: GEBURTSORT</h3> <p>Da keiner der erwähnten Autoren in Rom zur Welt kam, lieferten sie einen Querschnitt durch das Reich. Der Arzt Galen von Pergamon, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte, stammte aus der heutigen Türkei. Sein Zeitgenosse Pollux, ein Grammatiker, kam ebenso wie sein Berufskollege Athenaios, der im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. lebte, aus Ägypten. Niemand würde annehmen, dass sich diese Autoren besonders gut mit physischen Spielen auskannten. Athenaios erklärt sogar, dass er Ballspiele überhaupt nicht möge.</p>
<p>Alle drei liessen sich schliesslich in Rom nieder und schrieben griechische Texte für ihr zweisprachiges Publikum. Der in Bezug auf Ballspiele bedeutendste lateinische Autor war Martial, ein Dichter im 1. Jahrhundert n. Chr. aus dem heutigen Spanien. Er schrieb zahlreiche humorvolle und satirische Gedichte über alle Klassen der römischen Gesellschaft, wenn auch nicht aus Sicht eines Historikers. Die von Sueton auf Griechisch verfasste Abhandlung aus dem 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. über Freizeitbeschäftigungen hätte bestimmt etliche Fragen geklärt, wäre sie denn erhalten geblieben.</p>
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<h3>PROBLEM NR. 3: WENIG QUELLEN</h3> <p>Kunst und Archäologie können bis zu einem gewissen Grad helfen, das Wissen über die römischen Ballspiele zu erweitern. So legen beispielsweise drei Graffiti auf einer Wand in Pompeji nahe, dass auch normale Bürger Ballspiele spielten, in welchem Umfang bleibt jedoch ein Rätsel.</p> <p>Auch ob es schriftliche Aufzeichnungen, Statistiken oder Trainingsprogramme gab, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass Ballspieler in Rom nie Kultstatus erlangten, da die wahren Sporthelden der Römer die freien Gladiatoren und die Streitwagenfahrer waren.</p>
<p>Der moderne Fussball gilt als Volkssport, denn er steht allen Menschen offen, unabhängig von Klasse, Ethnie und Glauben. Die römischen Ballspiele hingegen wurden vorwiegend von der Oberschicht gespielt. Von Sidonius stammt eine interessante Aussage aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., wonach sich bestimmte Gruppen nach der Messe zum Ballspielen trafen, während die übrigen andere Orte aufsuchten. Tatsächlich spielten Reiche und Arme nicht zusammen.</p> <p>Für die römische Oberschicht waren Ballspiele mit sozialem Ansehen verbunden. Oft ergaben sich Spiele spontan, etwa als sich der Redner Cicero auf dem Campus Martius einem Ballspiel anderer Intellektuellen anschloss oder als sich der Politiker Cato der Jüngere bei einem Ballspiel von einer Wahlniederlage ablenkte. Für die Kaiser waren die Spiele Training wie auch Vergnügen.</p> <p>Bekannt ist auch, dass viele Reiche in Griechenland bereits ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. über ihr eigenes Spielfeld oder Sphaeristerium verfügten. So schreibt Theophrast in seinem Werk „Charaktere“, dass Emporkömmlinge in ihren Villen eigene Ballspielräume vorsahen. So konnten die Wohlhabenden im Privaten trainieren und das Spiel in den Alltag einbauen.</p> <p>Dies diente vermögenden Bürgern bald als Vorbild, etwa Plinius dem Jüngeren, der so reich war, dass er sich gleich zwei Spielfelder bauen liess, die sogar einer kleinen Zuschauerschar Platz boten. Gemäss dem Dichter Statius verfügten manche der Ballspielräume über eine Bodenheizung (auch Hypokaustum genannt), während sich andere Spielfelder im Freien befanden. Für die festgetretene, glatte, bisweilen staubige Unterlage wurde eigens spezielle schwarze Erde eingeführt.</p>
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<p>Hinweise, was die einfachen Leute von Ballspielen hielten, sind ebenso bedeutsam wie selten. Einige stammen aus handschriftlichen Wandkritzeleien an Gebäuden in Pompeji, die den Vulkanausbruch von 79 n. Chr. überdauerten. Es handelt sich dabei um eine Ankündigung eines Spiels, an dem scheinbar vier Spieler, zwei Balljungen und ein Offizieller teilnahmen.</p> <p>Bekannt war auch der vereinbarte Spielort – wohl eine Badeanlage – für ein semiformales Spiel mit einem Oberaufseher „pilicrepus“, der womöglich auch als Punktezähler amtete. Dabei zählte er vielleicht, wie oft die Spieler den Ball abfingen oder – wie von Petronius in seinem Roman „Satyricon“ aus demselben Jahrhundert beschrieben – wie oft sie ihn fallen liessen.</p> <p>Auch wenn es bei den römischen Ballspielen wohl auch um Sieg oder Niederlage ging, standen – zumindest für die Oberschicht – Vergnügen und Geschick im Mittelpunkt. Die Ankündigung in Pompeji legt zudem nahe, dass auch Zuschauer willkommen waren.</p> <p>Nicht genannt wird der Name des Ballspiels, der den Stadtbewohnern beim Lesen dieser Anzeige aber ohnehin klar gewesen sein dürfte. Während die Intellektuellen suggerieren, dass Ballspiele Ehrenmännern vorbehalten waren, scheint das Graffito in Pompeji eine andere Sprache zu sprechen. Die Schätzungen, wie viele Menschen damals lesen konnten, variieren stark. Dennoch erfüllte das Graffito seinen Zweck, denn der Durchschnittsbürger Pompejis schien die Botschaft zu verstehen.</p>
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<p>Der Campus Martius, ein rund 250 Hektar grosser Park in der Nähe des Tibers, und die sieben über ganz Rom verteilten kaiserlichen Thermen und Badeanlagen boten allen die Möglichkeit, Ballspiele zu spielen. So weit die Theorie, denn während Arme und Reiche die Bäder kostenlos nutzen konnten, galt dies für Sklaven nicht. Diese Mehrzweckanlagen, die heutigen Freizeitzentren entsprechen, standen sinnbildlich für die Romanisierung.</p>
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<p>In jeder Gemeinde des Reiches gab es mindestens eine solche Anlage, die im täglichen Leben eine wesentliche Rolle spielte und ein beliebter Treffpunkt der lokalen Bevölkerung war. Diese technologischen Wunderwerke verfügten über ein ausgeklügeltes Bodenheizungssystem sowie Entwässerungs- und Sanitäranlagen, die in Europa bis ins 19. Jahrhundert unübertroffen blieben.</p> <p>Das alte Rom hatte bis Mitte des 20. Jahrhunderts einen höheren Wasserverbrauch als das moderne Rom. Die Nacktheit hob die sozialen Unterschiede auf, was die Reichen jedoch nicht daran hinderte, mit der Zahl ihrer Sklaven zu protzen, die nur als Bedienstete und Gehilfen Zutritt erhielten.</p>
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<h3>SPHAERISTERIUM</h3> <p>Diese monumentalen Bauwerke waren aber nicht nur Gemeinschaftsbäder, sondern beherbergten auch Flächen für Freizeitaktivitäten im Innenraum. Ein für die Allgemeinheit leicht zugänglicher Übungsraum für Ballspieler – das Sphaeristerium – steigerte zweifellos die Popularität von Ballspielen, auch wenn dies gemäss den Intellektuellen laute, widerwärtige Horden anlockte. In welchem Ausmass die niederen Volksschichten in diesen Anlagen tatsächlich an Ballspielen teilnahmen, bleibt jedoch ungeklärt. In Rom waren Wohlstand und Freizeit sehr ungleich verteilt.</p>
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<h3>BROT UND ZIRKUSSPIELE</h3> <p>Das Leben der Oberschicht unterschied sich stark von jenem der Armen, das oft ein Kampf ums Überleben war. Neben kostenlosen Nahrungsmitteln wie Getreide boten die Kaiser den Mittellosen auch Unterhaltung, namentlich Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen. Daher stammt auch der berühmte Ausdruck „Brot und Zirkusspiele“ (wobei das lateinische „circenses“ im weiteren Sinne auch „Spiele“ bedeutet). Im oströmischen Konstantinopel gab es neun solcher öffentlichen Badeanlagen, die ab dem 6. Jahrhundert n. Chr. jedoch nicht mehr genutzt wurden, was neben finanziellen Gründen auch auf einen Sinneswandel im christlich geprägten Staat zurückzuführen sein könnte.</p>
<p>Die Frauen spielten im öffentlichen Leben in Rom eine bescheidene Rolle, entsprechend gibt es kaum Beweise für ihre Teilnahme an Ballspielen. Theoretisch hätten sie Zugang zu den Badeanlagen und zum Sphaeristerium gehabt, ob sie diese aber tatsächlich nutzten, ist nicht überliefert. Das Fehlen von Hinweisen überrascht kaum, stammen alle Quellen doch von Männern, deren Vorurteile sich auch darin zeigen, dass sie Frauen in zwei Klassen einteilten: in ehrenwerte und unehrenwerte Frauen. In einem langen, hämischen Gedicht ermahnt der Satiriker Juvenal Frauen, die in der Badeanlage Gewichte stemmen, während sich Martial in einem neckischen Gedicht mit äusserst vulgären Worten über Philainis lustig macht, die sich wie ein Mann benehme, weil sie unter anderem an Ballspielen teilnehme und Gewichte hebe.</p>
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<p>Frauen traten in der Arena als Gladiatorinnen auf – offenbar als Kuriosität zu Neros Zeiten –, manchmal aber auch als furchtlose Kämpferinnen, die bisweilen mit Statuen gewürdigt wurden. In einer Villa auf Sizilien wurde ein Mosaik aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. entdeckt, das acht Frauen beim sportlichen Wettkampf zeigt. Unten rechts sind zwei Athletinnen im Bikini beim Ballspielen zu sehen, während oben links eine Athletin mit Gewichten in den Händen dargestellt ist. Neben Weitsprung, Diskuswurf und Laufen tragen die übrigen Frauen auch andere Wettkämpfe aus, wie die Krone und die Siegespalme symbolisch verdeutlichen. Die scheinbare Anomalie, dass Frauen um eine Trophäe kämpfen – etwa in einem Fünfkampf –, lässt sich dadurch erklären, dass Sizilien eine ehemalige griechische Kolonie war und es Belege für solche Wettkämpfe in Griechenland gibt.</p>
<p>Bei einem von Athenaios organisierten Festmahl war einer der Gäste Galen aus Pergamon – einer Stadt in der heutigen Türkei (Bergama) –, der sich in Rom niederliess, als Leibarzt mehrerer Kaiser arbeitete und Gladiatoren trainierte. Als eine der wichtigsten Figuren in der Medizin und Philosophie im alten Griechenland und Rom sowie dank seiner knapp 50-jährigen Praxis und seinem systematischen Training von Gladiatoren hatte er enormen Einfluss. Galen schrieb zahlreiche Abhandlungen darüber, wie Sport die Gesundheit fördert, und verweist in „Die Leibesübung mit dem kleinen Ball“ auf die Vorteile solcher körperlichen Ertüchtigung gegenüber anderen, insbesondere militärischen, Übungen.</p>
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<p>Aus heutiger Sicht ist es enttäuschend, dass Galen mit „sphaîra“ den allgemeinen griechischen Begriff für Ball verwendet und keine genauere Beschreibung des Balles oder der Spiele liefert. Bei einem von ihm erwähnten Spiel könnte es sich jedoch um Harpastum handeln, denn er erwähnt neben dem Läufer in der Mitte und Griffen an den Hals insbesondere auch die Gewalt und Körperlichkeit des Spiels:</p>
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<p><em>„Wenn nämlich die Spieler sich anstrengen, indem sie in zwei Parteien aneinander geraten und den Läufer in der Mitte des Spielfeldes am Abfangen des Balles zu hindern suchen, dann wird das Spiel sehr gewaltig und heftig, da es nun mit häufigen Drehungen des Halses und häufigen beim Ringkampfe geübten Griffen verbunden ist, so dass Kopf und Genick angestrengt werden durch die Drehungen des Halses, Rippen, Brust und Bauch durch häufiges Umschlingen der Arme, durch häufiges Wegstossen und Wegdrängen und die übrigen Griffe des Ringkampfes. Dadurch werden aber auch Hüften und Beine stark gestreckt, und gestärkt wird natürlich auch die Festigkeit des Trittes durch solche Anstrengung. Aber sowohl das Vorwärtsgehen wie das Rückwärtsgehen und das Hin- und Herspringen in die Quere stellt keine geringe Übung der Beine dar […].“</em><br>Galen, „Die Leibesübung mit dem kleinen Ball“</p>
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<p>Vermutlich bezieht sich Galen hier auf eine besonders energische Form des Harpastums, in der er einen Vorteil für die militärische Ausbildung sieht. Für Galen waren Ballspiele ein optimales Training für Körper und Geist. Er argumentiert, dass es ein Leichtes war, Zeit und einen Ort für solche Spiele zu finden, und dass diese ein Training für den ganzen Körper boten, allein, paarweise oder in Gruppen sowie mit unterschiedlicher Intensität gespielt werden konnten und weniger gefährlich waren als andere Sportarten.</p>
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<p>Nachdem das Römische Reich anfangs vom Einfluss der Griechen geprägt war, kamen später Einflüsse aus weiter entfernten Regionen wie Persien hinzu. Erstmals in der antiken römischen Welt gibt es stichhaltige Beweise für ein Spiel, bei dem die Spieler den Ball mit einem Schläger oder Stock schlugen und in ein Netz treffen mussten. Bereits im 5. Jahrhundert n. Chr. liess Kaiser Theodosius II. in seinem Palast die erste Arena für ein Ballspiel namens Tzykanion errichten. Auch viele spätere Kaiser spielten das Spiel und zogen sich dabei immer wieder – auch tödliche – Verletzungen zu.</p>
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<p>Eine lebhafte Beschreibung dieses gefährlichen Spiels liefert der Historiker und kaiserliche Sekretär Johannes Kinnamos in seinem Werk „Historiae“ aus dem 12. Jahrhundert. Darin hält er fest, dass das Spiel von Jugendlichen, vermutlich aus der Adelsschicht, gespielt wurde, und zwar nicht im Kaiserpalast, sondern auf einem geeigneten Stück Land.</p> <p>Während die Adligen in Rom bei den Ballspielen zu Fuss unterwegs waren, wurden die Spiele im Oströmischen Reich zu Pferde und auf ein Tor gespielt. Anstelle eines wie im Polo verwendeten Schlägers mit einem hammerähnlichen Kopf spielten die Spieler wie im Lacrosse mit einem Schläger mit einem Netz am Kopfende.</p>
<p>Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. verwies der Bischof von Clermont im römischen Gallien in einem ausführlichen Brief auf ein Ballspiel, bei dem es sich möglicherweise um Harpastum handelte.</p> <p><em>„Was wir, je nach Altersgruppe, mit zwiefältigen Zurufen angefordert hatten, wurde gleich darauf herbeigebracht: für die einen ein Ball, für die anderen ein Spielbrett. Beim Ballspiel machte ich sogleich den Anführer; Du weisst ja, dass mir der Ball ein genauso lieber Gefährte ist wie ein Buch. […] Ich spielte mit einer Gruppe Studenten ausgiebig Ball, so viel wie sich meine von der Pein des Stehens steif und lahm gewordenen Glieder durch das heilsame Laufen in Bewegung setzen liessen.</em></p>
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<p><em>Hier [mischte sich] der Vir illustris Filimatius […] entschlossen unter die Reihen der Ballspieler. Vortrefflich hatte er das nämlich gekonnt – als er noch jünger war an Jahren. Weil er nun recht oft von dem Platz, wo die Spieler stehen durften, durch eine Stoss des mittleren Läufers vertrieben wurde und schon wieder in den Kreis hineinmusste, wo nah an ihm vorbei oder über ihn hinweg der Ball flog, dessen Flugbahn er jedoch weder unterbrechen noch ihr ausweichen konnte, und sich zu diesem Zweck niederbückend häufig vornüber fiel, sich aber nur mit Mühe von diesem Drehsturz wieder aufrappelte, schied er als erster aus dem hitzigen Spiel aus und entfernte sich, schwer atmend vom stechenden Schmerz in seinen Flanken.“</em><br>Sidonius Apollinaris, „Die Briefe“, Buch 5, 17. 6–7</p>
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<p>Der Bischof war offensichtlich ein leidenschaftlicher Ballspieler und dürfte deshalb als verlässliche Quelle für diese ungestüme Sportart gelten, die Christen in den Provinzen praktizierten. Den Ball bezeichnet er mit den allgemeinen Begriffen „sphaîra“ und „pila“, und an diesem spontanen Spiel, das auf einem ebenen Stück Land ausgetragen wurde, nahmen zahlreiche, vornehmlich junge, aber auch ältere Spieler teil. Sich selbst bezeichnet der Autor trotz seines Alters von damals 39 Jahren nicht als alten Spieler. Für einen ehemaligen erfahrenen Spieler, der als Auswechselspieler teilnahm, war das kraftvolle Spiel jedoch zu anstrengend.</p>
<p>Aufgrund der Hinweise auf den Läufer in der Mitte, über den Kopf hinweg geworfene und abgefangene Bälle sowie die Gewalt handelte es sich bei dem Spiel wohl um Harpastum oder zumindest eine Variante davon.</p>
<p>Den Titel „Ursprungsland des Fussballs“ beanspruchen mehrere Länder mit Stolz für sich. Bei manchen Autoren siegte die Emotion über den Verstand, als sie die Ursprünge des Fussballs der griechisch-römischen Kultur zuschrieben. 1969 wurde Dalmatien, eine Region im heutigen Kroatien, in einem Zeitschriftenartikel als ursprüngliche Heimat des Fussballs ausgerufen.</p>
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<h3>MONUMENT AUS SINJ</h3> <p>Als Beweis diente ein 2000 Jahre altes Monument aus Sinj, das eine Person mit einem Ball in den Händen zeigt, wobei dieser kleiner ist als ein moderner Fussball. Da über die Verwendung des Balles nichts weiter bekannt ist, lässt sich dies kaum als erstes Artefakt mit Bezug zum Fussball bezeichnen. Laut seriösen Gelehrten, die den Kontext untersucht haben, ist das Monument einem siebenjährigen Jungen gewidmet. Es zeigt wohl ein Kinderspiel, wie es auch in den Quellen der Römerzeit, auf die das Monument datiert wurde, erwähnt wird.</p>
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<h3>BRIEFMARKEN</h3> <p>Anlässlich Griechenlands erster Teilnahme an der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft wurde 1994 eine Briefmarke herausgegeben, die einen altgriechischen Athleten neben einem modernen Fussballer zeigte. Da für die implizite Verbindung zu den Ursprüngen des Fussballs keine Beweise vorliegen, zeigt das antike Relief vermutlich einfach eine Person, die einen Ball auf ihrem Oberschenkel balanciert – ein Kunststück, das die Menschen der Antike aufgrund des erforderlichen Geschicks in Staunen versetzt hätte. Es deutet jedoch nichts darauf hin, dass mehr als ein Spieler beteiligt war, wie es in einem Mannschaftsspiel der Fall wäre.</p>
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<h3>RÖMISCHE LEGIONÄRE</h3> <p>Einige vermuteten hinter dem Fussball ein italienisches Erbe und versuchten, seine Wurzeln zu den römischen Legionären zurückzuverfolgen, die angeblich eine frühe Form des Harpastums gespielt hatten. Von der faktisch korrekten Tatsache, dass sich die römischen Truppen in vier Reihen – Hastati, Velites, Principes und Triarier – aufstellten, leiteten sie ab, dass aus diesen Reihen im Laufe der Zeit bei einem Spiel mit einem Ball Angriff, Mittelfeld, Abwehr und sogar ein Torhüter wurden. Manche glauben sogar, dass Julius Cäsar das Spiel im Zuge seiner Eroberungen Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. nach Britannien brachte. Ferner vermuten sie, dass auch Calcio storico und andere ähnliche mittelalterliche Ballspiele auf dieses Spiel zurückgehen.</p>
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<p>All dies klingt sehr überzeugend – zumindest bis man sich die Beweise etwas genauer anschaut, denn es gibt keine Verbindung zwischen einem Ball und den Legionen. Gemäss den lateinischen Urschriften exerzierten die Soldaten nicht mit einem Ball („pila“), sondern einem Speer („pilum“), der traditionellen Waffe aller vier Legionen der römischen Armee. Während sich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Wörtern nicht abstreiten lässt, unterscheiden sich die erwähnten Objekte doch deutlich.</p>
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<p>Die Römer hinterliessen den nachfolgenden Generationen in der ganzen damals bekannten Welt ein reiches Erbe. Umso erstaunlicher ist es, dass Ballspiele nicht dazu gehörten. Die englischen Gründer des Fussballs glaubten, dass Episkyros, Harpastum, der italienische Calcio storico und der Folk Football aus Grossbritannien direkt voneinander abstammten, was sich jedoch nicht belegen lässt.</p> <p>Die Hinweise in der Literatur sowie in Artefakten, Inschriften, Graffiti, Wandmalereien und Mosaiken fallen zwar bescheiden aus, lassen aber den Schluss zu, dass Griechen und Römer diverse Ballspiele spielten. Die dabei verwendeten Bälle waren so vielfältig wie die Spiele selbst, bei denen es in erster Linie um Ertüchtigung und Erholung ging. Deshalb ist Galens Abhandlung „Die Leibesübung mit dem kleinen Ball“ der wohl bedeutendste Text über Ballspiele der damaligen Zeit. Für einen Fussballer wie Cristiano Ronaldo, der einen strikten Trainingsplan befolgt, wäre Galens Werk bestimmt ein bedeutendes Vermächtnis der Ballspiele des antiken Europas.</p> <p>Ballspieler genossen nicht nur die Geselligkeit an öffentlichen Plätzen, sondern hofften auch, mit der körperlichen Ertüchtigung ihre Gesundheit zu verbessern und den Alterungsprozess zu verzögern. Insofern gibt es Parallelen zum viktorianischen Ideal des „muskulösen Christentums“, das die heutigen Ballspiele mitgeprägt hat. Die Anhänger dieser Bewegung waren überzeugt, dass körperliches Training auch den Geist stärkt. Die altgriechischen und römischen Ballspiele ähneln somit heutigen Freizeitspielen, die Millionen von Menschen weltweit jede Woche spielen und die keine religiösen und kaum militärische Bezüge haben.</p> <p>In Griechenland und Rom gab es weitaus beliebtere und bedeutendere Sportarten als Ballspiele. So waren Wettkämpfe wie Wagenrennen, die Olympischen Spiele oder in geringerem Masse Gladiatorenkämpfe ein wahrer Publikumsmagnet mit Aufzeichnungen, berühmten Athleten und eigenen Verwaltungsorganen. Die heutige FIFA Fussball-Weltmeisterschaft mag keinerlei Bezug zu antiken Ballspielen, Wagenrennen oder Gladiatorenkämpfen haben, hat der klassischen Antike mit ihrem Spektakel und Streben nach Spitzenleistungen jedoch viel zu verdanken.</p>
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