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Origins - Kemari

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<p>Kemari ist ein stark ritualisiertes Spiel, das seit über einem Jahrtausend in Japan gespielt wird, und eines von nur zwei uns bekannten historischen Ballspielen (neben Cuju aus China), welche mit den Füssen gespielt wurden.</p> <p>Der hohe Stellenwert, den Kemari in der Gesellschaft genoss, ist historisch belegt und wurde über Jahrhunderte überliefert. Zudem ist es das einzige antike Ballspiel, über dessen Spielweise konkrete Details vorliegen.</p>
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<p>Kemari-Begegnungen, Marikai genannt, bestehen aus drei Phasen:</p> <p>In der ersten Phase, dem Aufwärmen, passten sich die Spieler den Ball zu und schossen ihn in die Bäume, um zu sehen, wie der Ball herunterfiel. In der zweiten Phase präsentierten die Spieler den Zuschauern ihre individuellen Fähigkeiten.</p> <p>In der dritten Phase, die Kazumari hiess und jeweils gegen Abend stattfand, stand nicht mehr die individuelle Klasse, sondern das Zusammenspiel im Team im Zentrum. Die Spieler bewegten sich weg von den Bäumen zur Mitte des Spielfelds und zählten die Anzahl der Ballberührungen.</p>
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<p>Die Spielkleidung, die in den Kemari-Ritualen eine wichtige Rolle spielt, besteht aus vier Hauptelementen: Das kunstvollste Kleidungsstück neben dem Hut (Eboshi), den Hosen aus Pfeilwurzfasern (Mari-hakama) und den Schuhen (Kamo-kutsu) ist der Mari-suikan. Diese Art Kimono mit langen Ärmeln aus rauer Rohseide zwingt die Spieler dazu, aufrecht zu stehen.</p>
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<p>Nach dem Anziehen der Spielkleidung beginnt der nächste Teil des Rituals. Der Ball wird in einem Schrein gesegnet und in den Garten (Mariniwa) gebracht, in dem sich das Spielfeld befindet. Bei einer Zeremonie, die Tokimari heisst, betet ein Mann, Edayaku genannt, für Wohlstand und Weltfrieden. Nun kann das Spiel beginnen.</p>
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<p>Kemari ist die erste bekannte Ballsportart, in der Punkte gezählt wurden – was im heutigen Sport normal ist. Freilich wurde Kemari auch zum Spass gespielt, doch bei Wettkämpfen wurde ein Offizieller mit dem Zählen der Punkte betraut.</p> <p>Im Unterschied zur Verwendung der Pfeife heutiger Schiedsrichter zählte der Offizielle die ersten 50 Ballberührungen lautlos, ehe er jede zehnte Berührung ausrief. Gelang den Spielern ein besonders gekonnter Schuss, schlug er zehn Bonuspunkte auf. In der Regel wurde vor jeder Begegnung eine Punktzahl festgelegt, bei der das Spiel enden sollte. Laut einer Quelle wurde bis auf 120, 300, 360, 700 oder 1000 Punkte gespielt – alles Zahlen mit astrologischer Bedeutung.</p>
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<p>Obwohl es im Kemari primär um das Zusammenspiel im Team ging, gab es auch Begegnungen mit Wettkampfcharakter, bei denen zwei Teams mit je acht Spielern gegeneinander antraten. Jedes Team hatte eine zuvor festgelegte Anzahl an Versuchen, wobei das Team gewann, dem pro Versuch mehr Ballberührungen gelangen.</p>
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<p>Wie im heutigen Fussball gab es auch im Kemari Spieler, die grosse Berühmtheit erlangten, darunter Fujiwara no Narimichi, ein Hofadeliger im 12. Jahrhundert. Der begabte Flötenspieler, Dichter und Reiter war vor allem für seine Fähigkeiten im Kemari bekannt. Seinen Erzählungen zufolge spielte er Kemari an insgesamt 7000 Tagen – 2000 davon hintereinander!</p>
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<p>Der Legende nach balancierte Narimichi auf der Balustrade der Terrasse vor der Haupthalle des Kiyomizu-dera-Tempels in Kyoto hin und her und jonglierte dabei mit dem Fuss einen Kemari-Ball – ein Fehltritt bei diesem Kunststück, und er wäre 13 Meter in die Tiefe gefallen!</p>
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<p>Kemari wurde fast ausschliesslich von Männern gespielt. In der Erzählung „Towazugatari“ aus dem Jahr 1307 schreibt Nijō, dass Hofdamen wie sie im Sinne eines seltenen Schauspiels und zu ihrer grossen Verlegenheit zum Kemari-Spielen gezwungen wurden. Auch die Zuschauerrolle schien den Hofdamen nicht sonderlich zu behagen: So beschrieben die Autorinnen von „Kopfkissenbuch“ („Makura no Sōshi“) und „Die Geschichte vom Prinzen Genji“ („Genji Monogatari“) das Spiel als „widerliches Spektakel“ und „unmanierlich“.</p>
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<p>Während ein legendärer Sumokampf dazu geführt haben soll, dass die Sonnengöttin Amaterasu die Herrschaft über Japan erlangte, ranken sich um den Ursprung des Kemari keine solchen Mythen. Gemäss einer von Kronprinz Naka no Ōe und seinem Berater Nakatomi no Kamatari in „Nihongi“ erzählten Geschichte war das Spiel für die guten Umgangsformen und die Fairness der Spielteilnehmer bekannt. </p>
<p>Kemari und Poesie galten als kompatible, wenn nicht gar als vergleichbare Kunstformen. Ähnlich wie sich Menschen versammelten, um Gedichte zu schreiben, vorzutragen und zu würdigen, sassen sie unter Bäumen zusammen, um einem Kemari-Spiel beizuwohnen. Fanden Veranstaltungen mit einem dieser Zeitvertreibe nur unter Adligen statt, so folgten sie ganz eigenen Verfahren und Protokollen.</p>
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<p>Die Beliebtheit von Kemari am Hof führte zur Formalisierung und Verfeinerung des Spiels, da im Kaiserpalast gute Manieren, Ehrerbietung und formale Abläufe oberste Priorität hatten.</p> <p>Kemari entwickelte sich von einem Zeitvertreib zu einer fein abgestimmten Kunstform, die ein Hauch von Elitarismus und Kultiviertheit umgab.</p>
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<p>Die Samurai gewannen nach dem Krieg zwischen dem südlichen und dem nördlichen Hof an Bedeutung. Doch welches Interesse hatten sie als berühmte und gefürchtete Krieger, Kemari spielen zu lernen? Die Antwort liegt im zunehmenden Umgang mit den Adligen.</p> <p>Da die Samurai vermehrt mit dem Adel Geschäfte machten, mussten sie sich auch mit der Kultur und den Traditionen Kyotos, der damaligen Hauptstadt, vertraut machen und gute Beziehungen zum Kaiserhof pflegen.</p>
<p>Die Idee, durch Sport in höhere Ränge aufzusteigen oder mit entsprechenden Vertretern zu verkehren, so wie die Samurai dies mit Kemari taten, ist auch im heutigen Sport alltäglich.<br><br>Sportarten wie Pferderennen, Cricket, Golf oder Tennis zu betreiben oder sich mit diesen auszukennen sowie sich für Kunst und Musik zu interessieren, sind oft Voraussetzung – oder zumindest hilfreich –, um innerhalb der Gesellschaft ein gewisses Ansehen zu geniessen.</p>
<p>Die Asukai gehörten zu den wichtigsten Adelsfamilien, die Kemari kontrollierten. Sie entsandten Vertreter nach Kamakura, um dem Shogunat die richtige Technik und Vorgehensweise zu vermitteln und gar Urkunden auszustellen für jene hochrangigen Samurai, die würdig waren, mit den Adligen des Kaiserhofs bei einer Kemari-Darbietung zu verkehren. <br><br>Da die Kontrolle des Kemari zur Mitte des 17. Jahrhunderts fast allein den Asukai oblag, galten sie als Iemoto, die Gründerfamilie des Kemari.<br><br>Als Kemari auch in Städten und Dörfern immer beliebter wurde, ernannten die Asukai örtliche Vertreter, die die Integrität der Sportart wahrten – und dafür sorgten, dass die Familie nichts von ihrem Einfluss auf das Spiel einbüsste. Das Geld, das die Spieler bezahlten, um teilzunehmen und Lizenzen zu erhalten, die ihnen ein bestimmtes Niveau attestierten – ähnlich wie bei den Gürteln oder Dan in den modernen Kampfkünsten –, stellte eine wichtige Einnahmequelle dar. </p>
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<p>Während des Ōnin-Kriegs wurden grosse Teile Kyotos zerstört, und viele Einwohner flohen in andere Teile des Landes und nahmen kulturelle Elemente mit, u. a. Kemari. Im Laufe des turbulenten 16. Jahrhunderts, auch als Zeit der streitenden Reiche bekannt, reisten aufeinanderfolgende Oberhäupter der Asukai-Familie durch das Land, um dafür zu sorgen, dass die Regeln überall, wo Kemari gespielt wurde, eingehalten wurden.</p>
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<p>Im 17. Jahrhundert begann in Japan eine längere Zeit des Friedens und der Stabilität – die Edo-Zeit, benannt nach der neuen Hauptstadt des Shogunats, dem heutigen Tokio. Sie bot ideale Voraussetzungen für die Verbreitung von Kemari, sowohl geografisch als auch in allen gesellschaftlichen Klassen.</p> <p>Mithilfe örtlicher Vertreter in den Städten und Dörfern im ganzen Land dehnten die Asukai ihren Einfluss innerhalb jener Klassen der Gesellschaft aus, die bisher keinen Zugang zu Kemari gehabt hatten. Vermögendere Bürgerliche wie Kaufleute in den Städten, Gutsbesitzer auf dem Land oder Priester interessierten sich neben anderen vornehmen Kunstformen wie Teezeremonien oder Poesie erstmals auch für Kemari.</p> <p>Die Konkurrenz versuchte zwar, die Macht der Asukai infrage zu stellen, scheiterte jedoch. 1647 wurde ein Bürgerlicher auf eine abgelegene Insel verbannt, weil er eine unzulässige Art des Kemari lehrte – mit anderen Worten: weil er ohne Lizenz Kemari spielte. So behielten die Asukai bis zum Ende der Edo-Zeit 1868 die Kontrolle über die Einheitlichkeit von Kemari als Sportart.</p>
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<p>Sasaki Sukezaemon war ein örtlicher Beamter der Bürgerklasse und lebte in Mochigase, einer von vielen Städten entlang der Inaba Kaidō, einer Route zwischen Tottori und Himeji. In seinem Tagebuch hielt er jede seiner zahlreichen Teilnahme an Kemari-Spielen fest.</p>
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<p>In einer Urkunde im Familienarchiv, die 1771 von einem Vertreter der Asukai-Familie ausgestellt wurde, wird er als Schüler bezeichnet. Dort ist auch die Kleidung angegeben, die er beim Spielen tragen durfte. Dies zeigte seinen gesellschaftlichen Status und seinen Rang in der Hierarchie der Asukai-Kemari-Welt. Neben den Einwohnern Mochigases spielte Sukezaemon auch an der Seite von Samurai aus Tottori und Besuchern aus der Provinz Harima am anderen Ende der Inaba Kaidō.</p>
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<p>Der gesellschaftliche Hintergrund hatte deutliche Auswirkungen auf die Technik der Spieler während der Spiele. Menschen mit niedrigerem Status – z. B. Hofdiener, -beamte oder -wächter – leisteten hauptsächlich körperliche Arbeit, die Geschick und Schnelligkeit verlangte, was ihnen beim Kemari zugutekam. Ihr primäres Ziel bestand darin, den Ball möglichst oft zu jonglieren und um jeden Preis zu verhindern, dass der Ball den Boden berührte, was zu dynamischen, akrobatischen Bewegungen führte.</p>
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<p>Hauptziel der adligen Spieler hingegen war nicht eine möglichst hohe Punktzahl, sondern vielmehr Würde und Haltung – „hin“ auf Japanisch – zu bewahren. Beim Spielen des Balls das Knie anzuwinkeln, war verpönt und galt als würdelos.</p>
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<p>Ein weiterer Unterschied je nach gesellschaftlichem Hintergrund waren die Rücksicht und das Feingefühl gegenüber den Mitspielern, was sich vor allem bei der Annahme des Balls zeigte. In Spielen der einfachen Leute gingen die Spieler aggressiver auf die fliegenden Bälle. Höflinge waren diesbezüglich zurückhaltender.</p>
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<p>Die grosse Beliebtheit, der sich das Kemari während der Edo-Zeit erfreut hatte, überstand den turbulenten Übergang in die Moderne im Zuge der Meiji-Restauration 1868 nicht. <br><br>Wesentlichen Anteil daran hatte die komplett veränderte Rolle der Adeligen nach der Restauration. Sie wurden in einen neuen Adelsstand erhoben, den Kazoku, wodurch sie ihre vererbbare Macht und ihre Funktionen verloren. Dadurch brach das gesellschaftliche und wirtschaftliche Fundament weg, auf dem das Kemari gegründet worden war und seine Blütezeit erlebt hatte.</p>
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<p>Da die Asukai all ihre Konkurrenten ausgeschaltet hatten, war niemand mehr da, der die Spielregeln hätte durchsetzen können. Die breite Übernahme westlicher Werte und Sportarten sowie die vergleichsweise hohen Kosten, die mit dem Kemari verbunden waren, führten dazu, dass die Sportart nur noch ein Schattendasein fristete.</p> <p><br>Da die Gebühren, die für traditionelle japanische Sportarten überlebenswichtig sind, nicht mehr bezahlt wurden, war das Kemari keine echte Einnahmequelle mehr. Andere Sportarten passten ihr System jedoch rasch der modernen Welt an: So wurde aus dem Sumo ein Zuschauersport, während sich die Kampfkunst als Sport- und Fitnessform positionierte.</p>
<p>Sumo hat primär überlebt, indem es sich ab dem 17. Jahrhundert als Zuschauersport etablierte. Dank den Massenmedien blühte Sumo auf und sicherte sein Überleben dank seiner aus zahlenden Zuschauern bestehenden Anhängerschaft.</p>
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<p>Die Kampfsportarten beschritten einen anderen Weg. Eine Pionierrolle kam dabei dem Lehrer Kanō Jigorō zu, der Judo als Form der körperlichen Betätigung entwickelte, die sich in das Bildungssystem integrieren liess. Die vielen lokalen Trainingsräume, die sogenannten Dojos, trugen nicht nur wesentlich zur Popularisierung des Judo bei, sondern waren auch eine Einnahmequelle für die Lehrer, die von den Schülern eine Unterrichtsgebühr verlangen konnten.</p>
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<p>Ohne den Verein zur Erhaltung des Kemari, der 1903 in Kyoto von einer kleinen Gruppe Adliger gegründet wurde, wäre die Sportart für immer verschwunden. Im Unterschied zum Sumo hatte sich das Kemari nicht als Zuschauersport etabliert. Und obwohl das Kemari jede Verbindung zu Militarismus, die anderen Sportarten geschadet hatte, vermied, bedurfte es zur Rettung der Sportart einer kleinen Gruppe von Enthusiasten.</p>
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<p>Kemari wird auch heute noch gespielt und gefeiert und gilt als kulturelles Erbe Japans. Als Ballspiel, das nur mit den Füssen gespielt wird, ist es zweifelsohne auch ein Vorläufer der diversen modernen Fussballvarianten, namentlich des Association Football, des klassischen Fussballs.</p> <p>Obschon dem Kemari der Übergang von der traditionellen zur modernen Sportart nicht gelang, erfüllte es in seiner Blütezeit einige der sieben Kriterien, die gemäss dem Historiker Allen Guttmann eine moderne Sportart definieren. Kemari war weltlich und beruhte nicht auf religiösem Glauben oder Aberglauben, war mit seinem Regelwerk bürokratisiert, war rational und wissenschaftlich, quantifiziert und bestimmt vom Streben nach Rekorden.</p> <p>Den Sprung in den modernen Sport hat das Kemari vielleicht verpasst, doch mit dem Ballzauber von Diego Maradona und Co. sowie mit neuen Sportarten wie Freestyle-Fussball leben sein Geist und sein Vermächtnis weiter.</p>
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